• measX Pruefstandstechnik

Fahrdynamiktests mit In-Vehicle-Testsystem MOSES

Kunde: Daimler AG
Bereich: Automobilindustrie / F&E
Anforderung: Entwicklung einer Applikation zur Planung und Durchführung von Fahrdynamiktests
Umsetzung: Software: LabVIEW

Zwischen Spurwechsel und Vollbremsung

Fahrdynamikuntersuchungen spielen in der Fahrzeugentwicklung der Daimler AG eine Schlüsselrolle. Die Tests werden von langer Hand  geplant und sind für die Ingenieure jedes Mal eine Herausforderung.

Gerade noch war sein Blick hoch konzentriert, jetzt lächelt Andreas Pfister zufrieden. Die Checkliste in seiner Hand ist lang, aber hinter jedem Punkt steht ein Haken. Alle Kisten sind fix und fertig gepackt. Ein schwerer Sattelschlepper steht schon auf dem Hof, um das Material und die zwei Testfahrzeuge abzuholen, die bis zur Unkenntlichkeit getarnt sind. Das Ziel: der IDIADA Proving Ground, 70 Kilometer westlich von Barcelona, eines der modernsten Testgelände Europas. Dort sollen die fahrdynamischen Eigenschaften der Prototypen genau unter die Lupe genommen werden.
Hier, von seinem Schreibtisch in Sindelfingen aus, hat der Daimler-Ingenieur zusammen mit seinen Kollegen alles detailliert geplant: von der Auswahl der Fahrzeuge und dem Einbau spezieller Messtechnik über die Anmeldung beim Testgelände bis zur Buchung von Flug und Hotel. Die Prototypen sind in einen „erprobungswürdigen Zustand“ gebracht worden, das heißt, alle eingebauten Komponenten haben die richtige Version. Auch der  Versuchsplan für die zu durchfahrenden Manöver ist bereits fertig und auf dem Laptop gespeichert: „Zusammen mit measX haben wir eine Software  entwickelt, die uns bei der Vorbereitung und Durchführung der Fahrdynamikuntersuchungen optimal untertützt“, erklärt Andreas Pfister. Trotzdem liegen jetzt zwei anstrengende Wochen vor ihm. Von Barcelona und der katalanischen Umgebung wird er so gut wie nichts mitbekommen.
 

Software sorgt für Sicherheit und Effizienz

fahrdynamik IMG 7349 1024Drei Tage später, montags gegen 11 Uhr. Schon fünf vermummte Pkw drehen auf der großen Fahrdynamikfläche ihre Runden. Den frühen „5 Uhr 50“-Flug noch in den Knochen besprechen die Daimler-Kollegen, was an diesem ersten Versuchstag ansteht. Das Fahrzeug wird konditioniert, getankt, aktuelle  Achslasten gemessen, am Heck die vorgeschriebenen Warnschilder angebracht. Auf der Beifahrerseite wird der Laptop mit der MOSES-Software auf einem Messgestell montiert und an der Windschutzscheibe im Sichtbereich ein weiteres Display angebracht. Weicht der Fahrer während eines Manövers von  den Sollwerten ab, wird das hier angezeigt und zusätzlich ertönt ein akustisches Signal. Insgesamt sei die Sicherheit durch MOSES noch mal erheblich gestiegen, lobt der 53-jährige Andreas Pfister: „Die komplette Messung wird im Stillstand vorbereitet und durch entsprechende Trigger erst bei Manöverbeginn aktiviert. Man kann sich voll auf das Fahren konzentrieren.“

Auf dem ersten Streckenmodul wird Messreihe für Messreihe abgearbeitet. Immer wieder fährt der Erlkönig durch die Pylonenstrecke, mal mit weiterem, mal mit engerem Abstand. Es folgen unzählige Kurvenfahrten, Ausweich- und Bremsmanöver. Zwischendurch wird das Fahrzeug umgebaut und die Manöver mit geändertem Fahrwerk und anderen Reifen wiederholt. „Zur Sicherheit hat man ein- und dieselbe Messung früher oft zehn Mal durchgeführt, jetzt gibt die  Software direkt eine Rückmeldung. Liegen bereits nach fünf Fahrten aussagekräftige Werte vor, kann man zur nächsten Aufgabe übergehen“, erklärt Andreas Pfister mittags bei einer Tasse Kaffee. Eine große Siesta ist nicht drin, dafür ist der Zeitdruck zu hoch. Übermorgen sollen die ersten Ergebnisse mit den Kollegen in Sindelfingen am Telefon oder per Videokonferenz besprochen werden. Am Ende werden es mehr als 680 Messungen aus 7 Manövern sein, auf deren Grundlage tief greifende  Entscheidungen getroffen werden.


Mental und körperlich enorm gefordert

Neben den Grundsatzuntersuchungen werden auch Grenzen ausgelotet, zum Beispiel hinsichtlich Kippstabilität. „Man möchte wissen, wie ein voll beladenes Fahrzeug in extremen Situationen reagiert, ob es zum Beispiel beim doppelten Spurwechsel durch die Pylonengasse auch bei Tempo 80 noch auf allen vier Rädern fährt oder ob es beim Kurvenbremsen auszubrechen beginnt“,  so der Fahrdynamikexperte. Die Kunst besteht darin, die Manöver immer ein wenig  zu variieren, um herauszufinden, wann es kritisch wird.

fahrdynamik pfister IMG 1201 1024An einem typischen Erprobungstag sitzen Versuchsingenieure bis zu acht Stunden hinter dem Steuer. Und sie müssen sich auf viele Dinge gleichzeitig konzentrieren, um die Manöver vorschriftsmäßig zu durchfahren und anderen Fahrzeugen nicht in die Quere zu kommen. Besonders komplex sind Manöver mit Lenkroboter, bei denen spezielle Lenkmuster zu einem bestimmten Zeitpunkt vom Fahrer ausgelöst werden. Bei manchen  Lenkrobotern muss dabei sogar ein Helm getragen werden, weil die normalerweise vorhandene Airbagfunktion nicht mehr gegeben ist.

Körperlich besonders anstrengend sind Ausweichtests, bei denen der Fahrer schnell hin und her lenkt und sich mit aller Kraft am Sitz abstützt. „Dabei werden Querbeschleunigungen von fast einem g erreicht. Dann hört man nicht nur die Reifen quietschen, das spürt man auch ganz schön“, sagt der in Wiesbaden aufgewachsene Ingenieur, der seit mehr als 25 Jahren bei Daimler im Bereich Fahrdynamik-Messtechnik tätig ist.
An fast 100 Tagen im Jahr ist er unterwegs. Im Sommer auf der unternehmenseigenen Teststrecke im norddeutschen Papenburg, in der nasskalten Jahreszeit in Spanien. Hinzu kommt die Wintererprobung in Lappland. „Bei Minus 20 Grad Celsius verlässt man das beheizte Fahrzeug nur, wenn es unbedingt sein muss“, scherzt er. Nach zwei Wochen ist er immer froh, wieder zuhause zu sein. Trotzdem sei das ein Traumjob: „Es ist toll, so nah am Entstehungsprozess der Fahrzeuge dran zu sein. Hier alle Herausforderungen zu meistern, das begeistert immer wieder.“ 

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